Personalized Medicine – Big Data, Machine Learning, Digitalisierung
Leben bedeutet Innovation und damit permanentes Abschiednehmen von alten Gewohnheiten. Mit personalisierter
Medizin verbinden viele Mediziner in Österreich derzeit noch klassische molekulargenetische Laboratorien mit Pipetten und PCR-Maschinen und damit die Notwendigkeit der Errichtung von Forschungsgebäuden und ausgedehnter wet labs. Physician Scientists sehen vor allem das Defizit an bioinformatischen Einheiten, bestehend aus exzellenter Hardware und vor allem dem dazugehörigen akademischen Personal.
In der biomedizinischen Forschung im Boston der 90er-Jahre hat sich, wie in anderen akademischen Zentren, die biomedizinische Forschung um ein molekulargenetisches Institut, nämlich das „Whitehead“, gedreht. Heute ist es das Broad Institute, eine gemeinsame bioinformatische Einrichtung des Massachusetts Institute of Technology und der Harvard University, die eng mit allen Lehrspitälern der Region vernetzt ist. Was ist passiert?
Today genetics are a commodity
Molekulargenetische Untersuchungen für den klinischen Bereich und auch für große Teile der Grundlagenforschung sind eine Handelsware geworden und werden beim kostengünstigsten industriellen Anbieter gekauft. Die durch die Ökonomisierung möglich gewordenen unvorstellbaren Datenmengen müssen mit der ständig wachsenden Literatur, die in wissenschaftlichen Journalen oder öffentlich zugänglichen Datenbanken im World Wide Net publiziert werden, zusammengebracht werden. Dazu kommt als Herausforderung, die derzeit noch in ziemlich unstrukturierter Form vorliegende klinische Information zu integrieren.
Hospitals are data treasures
Das Krankenhaus der Zukunft muss die Aufgabe der Nutzbarmachung der klinischen Daten als Core Business begreifen und wird immer mehr, wie alle anderen Wirtschaftsbetriebe, in der Datensammlung einen bedeutenden Teil seiner Wertschöpfung sehen. Letztendlich wird der Patient entscheiden müssen, wie viel seiner Privatsphäre er hergibt, wenn ihm dadurch ein besseres Service sowie größere Möglichkeiten geboten werden.
In greifbarer Zukunft werden uns zusätzlich zu den vertrauten klinischen Informationen auch völlig neue Datenquellen zur Verfügung stehen. Sensorische Daten durch am oder im Körper getragene Apparate, durch das Internet der Dinge generierte Maschinendaten und Log-Daten verschiedenster Art sind nur Beispiele und werden nicht zuletzt völlig neue Möglichkeiten der dringend notwendigen Dokumentation des Behandlungserfolgs bieten. Datenanalysen beschäftigen sich damit, verfügbare Daten als ersten Schritt in verständliche und für den menschlichen Geist zu verarbeitende Form zu bringen. Oftmals ermöglicht schon die einfache Darstellung großer Datenmengen in entsprechenden Schaubildern Einblicke und neue Erkenntnisse, aber eine wirkliche Datenanalytik muss natürlich weit darüber hinausgehen, da viel mehr in diesen Datenschätzen verborgen ist.
The algorithm will see you now
Werden neue Entwicklungen ärztliche Tätigkeiten ersetzen können? IBM Watson und Googles DeepMind sind die führenden Machine-Learning-Technologien, die teils bereits am Markt sind oder zumindest in großen Gesundheitssystemen wie derzeit dem NIH getestet werden. Wir haben uns bemüht, an diese Unternehmen noch näher heranzukommen, um eine tiefere Einsicht zu bekommen. Das Interesse an Transparenz und Kooperation ist allerdings beschränkt. Ein junger Österreicher, Julian Schrittwieser, der an der Entwicklung der entscheidenden Algorithmen von DeepMind beteiligt ist, durfte kein Interview geben. Auch IBM betreibt trotz wichtiger Kooperationen eine eher restriktive Informationspolitik.
Von Medizinern in der Vergangenheit generierte klinische Informationen unterschiedlicher Qualität werden zwar als Datenschätze bezeichnet und von Wissenschaftern anderer Disziplinen in Projekten genutzt – akademische Mediziner sind in die Entwicklung der Algorithmen aber nur beschränkt eingebunden. Maschinen können allerdings in den meisten Fällen nur von menschlichen Entscheidungen lernen, Plausibilitätsprüfungen sind auf allen Ebenen dringend notwendig. Deshalb müssen sich auch Physician Scientists auf allen Ebenen in diese Prozesse aktiv einbringen. Das erfordert Vertrauensaufbau auf beiden Seiten. Da ist noch einiges an Pionierarbeit zu leisten.
The Big Wave
Die Integration von Datenwissenschaften und Medizin muss aktiv betrieben werden. Zellbiologie und Genetik, die vor einer Generation einem Großteil der Mediziner völlig fremd und uninteressant waren, sind in Österreich spät im Kern der breiten medizinischen Forschung angelangt. Erst klinische Anwendungsmöglichkeiten von teuren Pharmazeutika und die Stück für Stück parallel dazu erfolgte Weiterbildung haben viele Ärzte zu informierten Konsumenten im Bereich der Molekulargenetik, der Signaltransduktion und der Tumorimmunologie gemacht – einige sogar zu Experten. Die Kosten für einen verspäteten Lernprozess sind enorm. Die große Welle von Big Data, Digitalisierung und Machine Learning kommt. Damit sie uns nicht unvorbereitet trifft und damit bedrohlich und disruptiv wird und viele von uns geschätzte Werte wie die kleinen Fischerboote im Tsunami untergehen, müssen wir uns besser vorbereiten als je zuvor und die neuen Technologien als große Chance zu einer Erneuerung begreifen.
Als Erstes gilt es zu verstehen, wie man eine Welle reitet: nämlich nicht auf der Welle, sondern vor der Welle. Wir müssen im akademischen Bereich von ‚early adopters‘ und Verkündern reifer Technologien zu Innovatoren werden.
Dieser Band von SPECTRUM Onkologie soll Sie einladen, nicht in den gewohnten Vorstellungen zu verharren und sich anstelle von ‚same old, same old‘ gemeinsam auf dieses Zukunftsthema mit Spannung einzulassen.
,The future is now‘ …