07.08.2006 | VON CLAUDIA RICHTER
DICKDARMKREBS
Daran erkranken 5000 Österreicher jährlich, bei bis zu zehn Prozent liegt ein Erbleiden vor. Blutsverwandte müssen fürchten, dieses Karzinom auch zu bekommen.
Krebs! Diese fatale Diagnose ist Seelenqual für den Einzelnen genug. Im Falle des genetisch bedingten Dickdarmkrebses müssen dann noch weitere fünf bis sechs Familienmitglieder mit einem drohenden Damoklesschwert leben: Die Gefahr, dass Verwandte ersten Grades auch ein Kolonkarzinom bekommen, liegt bei 50 Prozent.
In Österreich erkranken jährlich rund 5000 Personen an Dickdarmkrebs, bei fünf bis zehn Prozent von ihnen ist eine vererbte Störung in einem DNA-Reparatur-Gen der Auslöser. Und diese 250 bis 500 Menschen sind meist jung, manchmal sehr jung, 20, 25 Jahre, fast immer unter 45. Und: Fünf- bis sechsmal so viele Menschen – Verwandte ersten Grades, Brüder, Schwestern, Söhne, Töchter – müssen fürchten, diesen Defekt auch geerbt zu haben.
Ihnen werden jährliche Dickdarmspiegelungen und regelmäßige Gastroskopien angeraten. Abgesehen von den sicher nicht ganz angenehmen Vorsorgeuntersuchungen kommt vor allem die Angst dazu, die quälende Ungewissheit. Diese kann man einem Teil der Hochrisiko-Betroffenen nehmen – mit dem speziellen Gentest der prädiktiven genetischen Diagnostik (PGD).
„Mit PGD kann man feststellen, ob Hochrisiko-Patienten die Gefahr eines Dickdarmkrebses in sich tragen, ob sie den Gen-Defekt geerbt haben oder nicht“, erläutert Univ.-Prof. Dr. Michael Krainer, Klinische Abteilung for Onkologie am AKH Wien. Allerdings kommt diese Untersuchung nicht für alle Betroffenen in Frage: „Jede Familie hat ihre ganz spezifische Mutation. Die aber muss man kennen, sonst ist der Test viel zu aufwendig und die Chance, dass man den genauen Defekt entdeckt, zu gering.“
PGD kann also bei etwa 30 Prozent aller Risikopersonen angewandt werden. „Für rund die Hälfte gibt es dann Entwarnung“, weiß der Experte. Das heißt, sie haben keinen Gen-Schaden und damit kein erhöhtes Krebsrisiko. „Das muss so etwas wie eine Erlösung für diese Menschen sein.“
Für die anderen 50 Prozent der Untersuchten gibt es diese Erlösung leider nicht, aber dennoch Hoffnung: Mittels PGD lässt sich die spezifische genetische Ursache identifizieren – Vorsorgemaßnahmen und psychologische Betreuung können also maßgeschneidert werden. „Und durch die jährliche Koloskopie und die regelmäßige Magenspiegelung kann man das Karzinom in einem frühen Stadium entdecken, Heilungs- und Überlebenschancen steigen signifikant“, beruhigt Krainer.
Das große Problem ist einmal mehr das Geld. Während die deutschen Krankenkassen die Kosten übernehmen und auch in der Schweiz und Holland die molekulargenetische Diagnostik im Pflichtleistungskatalog der Grundversicherungen enthalten ist, wird PGD für das Kolonkarzinom in Österreich derzeit nur im Spital auf universitärem Boden durchgeführt und über Spitalsbudget und Drittmittel finanziert, die Sozialversicherungen zahlen PDG nicht.
„Die Drittmittel, die gewöhnlich zur Finanzierung von wichtigen Krebsforschungs-Projekten verwendet werden, sind aufgebraucht, im Moment können wir diese Untersuchungen daher nur in Einzelfällen anbieten.“ GPD, wird der Arzt ökonomisch, könne dem Gesundheitssystem viel Geld ersparen. „Jede Person, die auf Grund der GPD aus der Hochrisikogruppe ausgeschlossen werden kann, braucht ja nicht zu den jährlichen Vorsorgeuntersuchungen und das ergibt beträchtliche Kostenersparnisse. Nach meinen Berechnungen sind dies in Österreich mehr als 14.000 Euro pro Patient und insgesamt ein bis zwei Millionen Euro pro Jahr.“
Krainer zieht derzeit in Erwägung, ein Kompetenz-Zentrum für genetische Analysen mit Schwerpunkt erblicher Darmkrebs aufzubauen, die PGD aus dem Spitals- und Forschungsbetrieb auszulagern und so kostengünstig wie möglich anzubieten. Wobei das Geld nur die eine Seite ist.
Da gibt es dann noch die Nöte, Sorgen und Ängste jener Menschen, in deren Familien genetisch bedingter Darmkrebs aufgetreten ist. „Und wenn man einem Teil von ihnen diese Höllenqualen der Ungewissheit nehmen kann, dann ist das nicht mit Geld aufzuwiegen.“