von Robert Buchacher
Die laufende Aufklärungskampagne zur Dickdarmkarzinomvorsorge lässt die erbliche Form des bösartigen Tumors außer Acht. Ein Gentest kann das Erkrankungsrisiko klären.
Die EU-weite Aufklärungskampagne zur Darmkrebsvorsorge ist nun voll im Gang. Durch TV-Spots, Diskussionsveranstaltungen und mediale Aufmerksamkeit sollen auch die Österreicher dazu gebracht werden, Vorsorgeuntersuchungen wie Stuhlbluttests oder Darmspiegelungen in Anspruch zu nehmen. Denn von den 5000 jährlichen Neuerkrankungen und 3000 Todesfällen in Österreich ließe sich ein Großteil durch regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen verhindern. Einfach deshalb, weil sich das Dickdarmkarzinom lange im Voraus ankündigt. In etwa 90 Prozent der Krankheitsfälle entwickelt sich der Tumor über mehrere Jahre aus zunächst gutartigen Darmpolypen, die sich bei Darmspiegelungen leicht entfernen lassen. Keine andere Krebserkrankung wäre derart leicht zu verhindern wie das Dickdarmkarzinom.
In der bisherigen Debatte blieb allerdings die erbliche Form der Erkrankung ausgeklammert: In etwa fünf bis zehn Prozent der Fälle entsteht der Darmkrebs nämlich nicht aus einem gutartigen Polypen, sondern direkt in der Schleimhaut. Diese Fälle sind auf eine familiäre, also genetische Vorbelastung zurückzuführen. Wenn in einer Familie bereits zwei Fälle von Dickdarmkrebs auftegtreten sind, dann gelten die Blutsverwandten als Hochrisikogruppe. Bisher war in solchen Fällen eine Vorsorge nur möglich, indem man die Angehörigen dieser Gruppe ab dem 20. Lebensjahr einer jährlichen Darmspiegelung unterzog, um eventuell auftretende bösartige Gewebsveränderungen durch eine Darmresektion operativ zu entfernen.
Solche Hochrisikopatienten müssten alo bis zu ihrem 70. Lebensjahr 50 Darmspiegelungen über sich ergehen lassen – eine nicht nur aufwändige, sondern für die Betroffenen auch belastende, fürs Gesundheitssystem kostspielige und obendrein wenig zielsichere Methode. Denn nach der Mendel’schen Vererbungslehre erbt nur die Hälfte der unmittelbaren Nachkommen von Dickdarmkrebspatienten die genetische Vorbelastung. Um herauszufinden, wer unter den Familienangehörigen das belastende Gen trägt und wer nicht, besteht nun am Wiener AKH seit Kurzem die Möglichkeit eines Gentests. Die Chirurgin Judith Karner-Hanusch, Leiterin der Ambulanz für erblich kolorektale Tumorerkrankungen am Wiener AKH, welche diese Technik erstmals in Österreich anwandte, ist mittlerweile nicht nur Anlaufstelle für Patienten aus ganz Österreich, sondern auch aus anderen EU-Ländern.
„Zuerst mache ich eine ausführliche Stammbaumanalyse“, sagt Karner-Hanusch. Dabei interessiert sich die Wissenschaftlerin nicht nur für die in einer Familie aufgetretenen Dickdarmkrebsfälle, sondern auch für Erkrankungen wie Magenkrebs, (äußerst seltenen) Dünndarmkrebs, bei Frauen für Eierstock- und Gebärmutterkrebs sowie für Karzinome im Bereich der Harnwege (Niere, Blase, Harnröhre). „Gab es solche Erkrankungen vor dem 50. Lebensjahr, dann ist das besonders gefährlich, denn dann besteht immer der Verdacht auf eine Genmutation“, erklärt Karner-Hanusch.
Genmutation
Aus einer dem Krebspatienten abgenommenen Blutprobe wir daraufhin die DNA isoliert. Anhand so genannter Exons, das sind Genabschnitte, welche die Erbinformation weitergeben, lässt sich laut bisher vorliegendem Datenmaterial in 45 Prozent der Fälle eine Genmutation nachweisen. Liegt ein solcher Befund vor, dann können die Mediziner die gesamte Verwandtschaft austesten und speziell nach der im betroffenen Krebspatienten entdeckten Mutation suchen. Fehlt aber diese Mutation beispielsweise bei einem Kind, dann kann man sich die für Hochrisikopatienten ab dem 20. Lebensjahr gedachten jährlichen Darmspiegelungen sparen.
Karner-Hanusch arbeitet eng zusammen mit Michal Krainer, Leiter einer eigenen Arbeitsgruppe für molekulare Genetik an der Onkologischen Abteilung der Universitätsklinik für Innere Medizin, die sich mit den genetischen Voraussetzungen der Krebsentstehung befasst. Schon vor etwa zehn Jahren wurden Gene entdeckt, die bei der Entstehung verschiedener Krebsformen eine Rolle spielen. Diese Gene oder Genvarianten, mit denen sich Krainer im Rahmen eines dreijährigen Forschungsaufenthalts an der Harvard Medical School befasste, treten nun immer mehr in den Blickpunkt der Wissenschaft, weil die Forscher hoffen, auf diesem Weg neue Vorsorge- und Therapiemöglichkeiten entwickeln zu können.
Jede Körperzelle verfügt über vielfältige Abwehrmechanismen, die sich auch vor der Entartung schützen. Zu diesen Abwehrmechanismen gehören Reparaturgene, welche permanent damit befasst sind, beschädigte Teile im DNA-Erbgutfaden zu reparieren. Wenn diese Reparaturmechanismen nachlassen oder gestört sind, dann steigt das Risiko der Krebsentstehung. Ein Großteil der erblichen Dickdarmkarzinome beruht auf einer Fehlfunktion zweier Reparaturgene, der so genannten HNPCC-Gene. Jeder Mensch erbt je zwei Kopien dieser Gene, eine vom Vater, eine von der Mutter. „Wenn eine dieser zwei Bremsen versagt, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass auch die zweite versagt“, umschreibt es Molekulargenetiker Krainer. Und das bedeutet: Für diese Patienten besteht eine 80-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass sie bis zum Erreichen des 80. Lebensjahres an Darmkrebs erkranken.
Solche Hochrisikopationten raten die Mediziner zu einer Reihe von Vorbeugemaßnahmen, wie etwa jährlichen Koloskopien, ballaststoffreicher Ernährung, Nichtrauchen, eingeschränktem Alkoholkonsum sowie tägliche Einnahme von Medikamenten wie etwa Aspirin, die das Krebsrisiko senken können. Unter diesen Prämissen haben gefährdete Patienten eine reale Chance, dass eine eventuell auftretende Darmkrebserkrankung frühzeitig erkannt wird und deshalb geheilt werden kann. Weil aber die Untersuchung beim betroffenen Krebspatienten 8000 Euro kostet und jeder weitere, bei Angehörigen durchgeführte Gentest 750 Euro, sträubt sich das Gesundheitswesen, diese Tests auch durchführen zu lassen. „Das Wissen ist da“, resümiert Kreiner, „es fehlt nur das Geld, es an die Patienten zu bringen.“